Kampf gegen Armut

EU-Rat „Wirtschaft“: Den Waschsalon schließen!

Martin Schirdewan, EU-Parlament

Martin Schirdewan, Ko-Vorsitzender der Linksfraktion THE LEFT im Europäischen Parlament, erklärt zum heutigen Treffen des EU-Rates „Wirtschaft und Finanzen“

„Abermilliarden an schmutzigem Geld wird jährlich in Europa gewaschen. Wir sprechen hier von schätzungsweise 1,3 Prozent des gesamten BIP der EU. Nur so lohnt sich das üble Geschäft mit Waffen-, Menschen- oder Drogenhandel. Geldwäsche ist der Lebensbrunnen von Verbrechen und Gewalt.“

„Es ist ein Skandal, dass laut Europäischem Rechnungshof die Geldwäschebekämpfung in der EU zersplittert, ungenügend und schlecht koordiniert ist. Der neue Kommissionsvorschlag zur Geldwäschebekämpfung ist daher längst überfällig.“

„Die Schaffung einer neuen EU-Behörde zur Geldwäschebekämpfung ist ein richtiger Schritt. Hier müssen wir jedoch noch weitergehen. Wir brauchen eine Abteilung, welche speziell Fälle von Geldwäsche und Finanzbetrug mit Bezug auf politische Parteien und Regierungen untersucht. Geldwäschebekämpfung muss auch Korruptionsbekämpfung heißen.“

Zum Thema Steuern erklärt Martin Schirdewan:

„Wir brauchen klare Regeln für reduzierte Mehrwertsteuersätze in der EU. Es kann nicht sein, dass Firmen diese nicht an Verbraucher:innen weitergeben und einfach höhere Gewinne einkassieren. Die Politik muss dafür sorgen, dass jede und jeder sich die Dinge des Alltags leisten kann.“

„Grenzübergreifende Umsatzsteuerkarusselle sind neben den Cum-Ex-Steuerbetrügereien der wohl größte Steuerraub in der Geschichte der EU. Jedes Jahr betrügen kriminelle Organisationen die EU-Länder um 50 Milliarden Euro. Wir brauchen endlich eine konsequente EU-weite Aufklärung und Strafverfolgung gegen das Plündern der Staatskassen.“


 

Ein Wetterleuchten zeigt ein bald zu erwartendes Gewitter an

Stellungnahme zum Entwurf des Doppelhaushaltes 2022/23 der Landesregierung

Delegierte des Landesausschuss

Im vorgelegten Haushaltsentwurf wird deutlich, dass der Landesregierung Konsolidierung des Landeshaushaltes wichtiger ist als die Situation der Menschen in Niedersachsen. Die finanziellen Folgen der Corona-Krise werden wegen der Steuerausfälle und der coronabedingten Mehrausgaben erheblich sein, solange es keine Vermögenssteuer und/oder Vermögensabgabe (Corona-Abgabe) zur Gegenfinanzierung gibt. Arbeitnehmer*innen haben mit Kurzarbeitergeld oder sogar gleich mit ALG II (z. B. bei Wegfall von Mini-Jobs) existieren müssen. Solo-Selbstständige und Kleinstunternehmer wie auch Kulturschaffende leben am Rande ihrer Existenz. Dazu kommen auch die Anforderungen für konkrete Klimaschutzmaßnahmen und für den Umbau durch die Digitalisierung der Industrie in Niedersachsen. Es fehlen Investitionsprogramme, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Investitionen sind auch für die Landesverwaltungen dringend geboten. Für Veränderungen der Arbeitsprozesse durch Digitalisierung wird mehr Personal benötigt, wobei schon jetzt viele Stellen nicht besetzt sind und Personalmangel herrscht. 

Die Beschlüsse der Landesregierung erscheinen deshalb wie ein Wetterleuchten, das ein bald zu erwartendes Gewitter anzeigt. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat Sparpläne der niedersächsischen Landesregierung in Doppelhaushalt 2022/´23 und die mittelfristige Finanzplanung bis 2025 vorgestellt, wonach 20.000 Stellen im Landesdienst eingespart werden sollen. Obwohl überall Ärztinnen und Ärzte fehlen, wurde beschlossen, die Medizinerausbildung in Oldenburg von 120 Ausbildungsplätzen auf 80 zu reduzieren. Jetzt soll ausgerechnet im Gesundheitsbereich gespart werden. Hinzu kommen Kürzungen bei den Zuschüssen für Frauenhäuser sowie bei den Beratungsstellen für Geflüchtete. So wurde auch beschlossen, in drei Stufen bis 2024 die Zahlungen des Landes für die Kosten der Unterkunft im Rahmen der Sozialleistungen in Höhe von insgesamt 142 Millionen jährlich zu streichen. Für diese ausfallende Leistung des Landes müssen jetzt die Kommunen aufkommen und das bei steigenden Mieten. Bereits Zugesagtes wird weggelassen. So die Spielstättenförderung für die kommunalen Theater und zukünftige Tariferhöhungen. Unklar ist bis heute, wie notwendige Mehrausgaben zur Bekämpfung der Klimakatastrophe bezahlt werden sollen. 

Nach den neuesten Steuereinschätzungen wird es mehr Spielraum für zusätzliche Ausgaben geben. Das macht es vielleicht möglich, noch im Dezemberplenum des Landtages die eine oder andere Korrektur an den Haushaltsbeschlüssen der Landesregierung vorzunehmen. Das sollte auch unbedingt geschehen. Man muss dabei aber auch im Blick behalten, dass die Steuerschätzungen nur Prognosen sind, die auf Zahlen basieren, die vor der vierten Corona-Welle erhoben worden sind. Grundlegende Umgestaltungen der Einnahmesituation wie die Einführung der Vermögenssteuer bleiben deshalb nach wie vor auf der politischen Agenda. 

 

Antragsteller*innen:

Hans-Henning Adler, Giesela Brandes- Steggewentz, KV Osnabrück | Heidi Reichinneck, Lars Leopold, Johannes Zang, Jessica Kaussen, KV Hannover | Dietmar Reikemeyer, KV Göttingen | Thorben Peters, KV Lüneburg | Gudrun Klöpper, KV Wilhelmshaven | Peter Binder, KV Celle.


 

Rechtswidrige Miet-Richtwerte bei Hartz IV

Sozialgerichtsurteile und Betroffenheit

Ulrike Müller, Referentin für Existenzrecht

Ulrike Müller, Referentin für Existenzsicherung bei der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag hat herausgefunden und kann belegen, dass die KdUH nicht angemessen ist und viele Betroffene die Mieten nicht zu einem angemessenen Mietzins übernommen bekommen. 

Zusammenfassung:

Sozialgerichtsurteile allein aus dem Jahr 2020 zeigen, dass zehntausende Hartz-IV-BezieherInnen direkt oder indirekt von zu niedrigen Richtwerten für Miete und Heizung betroffen waren. Viele von ihnen haben zu Unrecht nicht ihre volle Miete erhalten und mussten diese Wohnkostenlücke aus dem Regelsatz zahlen.

Im Detail:

Wie hoch die Miete und die Heizkosten bei Hartz IV sein dürfen, wird kommunal festgelegt. Für dieses Berechnungsverfahren der Wohnkosten (juristisch: „Kosten der Unterkunft und Heizung“ bzw. KdUH) gibt es nur sehr allgemeine gesetzliche Vorgaben, deshalb war das Problem lange Zeit ein Dauerbrenner an Sozialgerichten. Es ist auch jetzt noch nicht gelöst, stattdessen werden rechtliche Unklarheit und kommunale Engpässe oft auf dem Rücken von Hartz-IV-BezieherInnen ausgetragen.

Die Recherche der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags*1 zeigt, dass allein im Jahr 2020 Sozialgerichte in 24 Fällen rechtswidrige Richtwerte feststellten. „Rechtswidrig“ bedeutet: zu niedrig, denn schon aus Spargründen setzen Kommunen keine zu hohen Werte fest, und Hartz-IVBezieherInnen würden nicht dagegen klagen. Die Urteile betrafen acht Städte bzw. Kreise zu unterschiedlichen Zeiträumen zwischen 2014 und 2020. Dort lebten mehrere zehntausend Hartz-IVBezieherInnen. Sie alle waren direkt oder indirekt von den zu niedrigen Richtwerten betroffen, nicht nur die KlägerInnen.

Direkt betroffen waren diejenigen, die konkret zu wenig Hartz IV erhalten haben: Das sind Hartz-IVBezieherInnen, denen im betreffenden Zeitraum nicht die vollen Wohnkosten gezahlt wurden („Wohnkostenlücke“), weil ihre Miete und/oder die Heizkosten die Richtwerte überschritten. Sie hätten also Anspruch auf höhere Leistungen gehabt; eventuell hätten sie sogar die vollen Wohnkosten erhalten.

Aber auch die anderen Hartz-IV-BezieherInnen – die ihre vollen Wohnkosten erstattet bekommen haben – sind indirekt von den rechtswidrigen Richtwerten betroffen: Sie haben sich möglicherweise an den zu niedrigen Richtwerten orientiert, auf einen Umzug verzichtet oder übermäßig sparsam geheizt.

Die Urteile beziehen sich teilweise nur auf bestimmte Aspekte, z.B. nur auf bestimmte Haushaltsgrößen. Auch hier liegt die Vermutung nahe, dass weitere Teile des Konzepts ebenfalls fehlerhaft waren, sodass alle Hartz-IV-Haushalte betroffen waren. Diese Fälle sind nur ein kleiner Ausschnitt von rechtswidrigen Richtwerten, denn sie basieren nur auf Urteilen aus dem Jahr 2020, die in der Datenbank juris veröffentlicht wurden. Wenn man noch weiter recherchieren würde, würde man noch zahlreiche weitere Sozialgerichtsentscheidungen finden, in denen Konzepte für Wohnkosten als rechtswidrig erkannt wurden.

*1 WD 6-074-21 – Übersicht: Sozialgerichtliche Entscheidungen zur Rechtmäßigkeit ‚schlüssiger Konzepte‘ im Jahr 2020 (nicht veröffentlicht)

 

Tabelle: Rechtswidrige KdUH-Richtwerte, betroffene Personenzahl und Wohnkostenlücke

Die folgende Tabelle listet auf, wie viele Personen direkt oder indirekt von den rechtswidrigen Richtwerten betroffen waren, weil sie zum betreffenden Zeitpunkt an den jeweiligen Orten in HartzIV-Haushalten (juristisch: „Bedarfsgemeinschaften“) lebten.

Die Tabelle zeigt außerdem den Anteil der Hartz-IV-Haushalte, die an dem betreffenden Ort nicht ihre vollen Wohnkosten erstattet bekommen haben, bei denen also eine Wohnkostenlücke bestand. Diese Haushalte hätten bei rechtmäßigen Richtwerten höhere Leistungen, eventuell sogar die volle Miete, erhalten. Die Wohnkostenlücke wäre also geringer ausgefallen oder sogar weggefallen. Wenn diese Hartz-IV-BezieherInnen nicht selbst auf höhere Wohnkosten geklagt haben, können sie eine Korrektur nur für ein Jahr nachträglich beantragen. Für Zeiträume, die länger zurück liegen, bleibt es bei einer rechtswidrigen Wohnkostenlücke.

Nicht enthalten sind zwei Urteile, bei denen die betreffenden Orte in der veröffentlichten Version anonymisiert waren (Stadt im Sozialgerichtsbezirk Augsburg, Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 20.5.2020 – S 11 AS 863/19, sowie Stadt im Sozialgerichtsbezirk Nürnberg, Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 6.10.2020). Hier konnte nicht festgestellt werden, wie viele Personen möglicherweise betroffen waren und wie groß die Wohnkostenlücke war.

 

Kreis/Stadt Betroffener Zeitraum (Sozialgerichts-Entscheidung) Betroffene*2 Monatliche Wohnkostenlücke pro Hartz-IV-Haushalt*3 Anteil der Hartz-IV-Haushalte mit Wohnkostenlücke*4
Landkreis Hildesheim Juni-November 2014 (SG Hildesheim, Urteil vom 11.9.2020 – S 26 AS 816/18) 22.101 60 Euro 32 %
Landkreis Jerichower Land Oktober 2019-März 2020 (SG Magdeburg, Urteil vom 3.6.2020 – S 16 AS 280/20) 6.279 57 Euro 26 %
Landkreis Harz Juni-November 2018 (SG Magdeburg, Urteil vom 17.6.2020 – S 16 AS 2296/18 16.865 57 Euro 33 %
  September 2017- August 2018 SG Magdeburg, Urteil vom 14.9.2020 – S 20 AS 3691/17 18.086 57 Euro 32 %
  September 2018- Januar 2019 Magdeburg, Urteil vom 14.9.2020 – S 20 AS 2931/18 16.412 57 Euro 33 %
  Mai-Oktober 2014 (SG Magdeburg, Urteil vom 13.11.2020 – S 5 AS 213/15) 23.946 - -
  November 2016- April 2017 SG Magdeburg, Urteil vom 13.11.2020 – S 5 AS 2702/17 19.261 53 Euro 27 %
Saarlandkreis Dezember 2013-Mai 2014 (SG Magdeburg, Urteil vom 9.7.2020 – S 14 AS 720719 WA) 28.685 51 Euro 30 %
Landkreis OstprignitzRuppin September 2015- April 2016 (SG Neuruppin, Gerichtsbescheid vom 16.11.2020) 11.030 76 Euro 15 %
  Mai-Oktober 2016 (SG Neuruppin, Gerichtsbescheid vom 17.11.2020 – S 26 AS 975/16) 10.736 70 Euro 11 %
Landkreis Limburg-Weilburg Mai 2019-Februar 2020 (SG Wiesbaden, Urteil vom 15.5.2020 – S 5 AS 565/19) 10.878 (05/2019) 73 Euro 20 %

Forderungen der Fraktion DIE LINKE: DIE LINKE.

im Bundestag hat schon 2018 gefordert, die Wohnkostenlücke zu schließen und die Kosten der Unterkunft existenzsichernd zu gestalten. Sie hat dafür zahlreiche genauere gesetzliche Vorschläge gemacht, die im gleichlautenden Antrag auf BT-Drs. 196526 zu finden sind.

 

*2 Mitglieder von SGB-II-Bedarfsgemeinschaften laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit „Eckwerte der Grundsicherung SGB II – Deutschland, West/Ost, Länder und Jobcenter“ jeweils für den ersten Monat im betroffenen Zeitraum, abgerufen am 26.10.2021

*3 Durchschnittliche Wohnkostenlücke pro Bedarfsgemeinschaft mit Unterkunftsart Miete und mit Wohnkostenlücke im betreffenden Jahr, bei jahresübergreifenden Zeiträumen im ersten Jahr (sofern verfügbar), laut Antworten der Bundesregierung auf die Kleine Anfragen der LINKEn zur Bilanz von Hartz IV für eingesparte Sozialleistungen (BT-Drs.19/13029) sowie zur Wohnkostenlücke 2020 (BT-Drs. 19/31600)

*4 Anteil der Bedarfsgemeinschaften mit Unterkunftsart Miete an allen Bedarfsgemeinschaften mit Unterkunftsart Miete laut Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen der LINKEn zur Bilanz von Hartz IV für eingesparte Sozialleistungen (BT-Drs.19/13029) sowie zur Wohnkostenlücke 2020 (BT-Drs. 19/31600)